Hoher Besuch aus der Politik: Dietmar Bartsch im Dialog zum Bundesteilhabegesetz

12.03.2018

Hoher Besuch aus der Politik: Dietmar Bartsch im Dialog zum Bundesteilhabegesetz

Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) soll Menschen mit Behinderung mehr Selbstbestimmung und Teilhabe ermöglichen. Ob dieses Gesetz tatsächlich ein Fortschritt im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention ist, haben am 8. März Linken-Chef und Mitglied des Bundestags Dietmar Bartsch, Rostocks Sozialsenator Steffen Bockhahn und Vorstand und Geschäftsbereichsleiter der Evangelischen Stiftung Michaelshof diskutiert. Bartsch überzeugte sich bei einem Rundgang durch das Michaelwerk von der Wichtigkeit der in der Werkstatt für behinderte Menschen geleisteten Arbeit. Die mehr als 600 Beschäftigten mit Handicap finden hier eine Arbeit, die ihre vorhandenen Stärken nutzt und soziale Kontakte und ihr Selbstwertgefühl stärkt.

Tim Schwark arbeitet im Michaelwerk in der Kabelmontage und ist zufrieden mit seiner Arbeit. Als Vorsitzender des Werkstattrates sieht er im neuen Bundesteilhabegesetz positive Aspekte, aber auch viele Dinge, die ihm Sorgen bereiten. „Es sollen neue Jobs für Werkstattbeschäftigte auf dem ersten Arbeitsmarkt geschaffen werden. Die Leistungsschwachen bleiben dann allerdings zurück“, sagt Schwark. Er fürchte dann um die Existenz der Werkstätten für behinderte Menschen, in denen bundesweit ungefähr 300.000 Menschen arbeiten. Auch sei der erste Arbeitsmarkt mit einem hohen Leistungsdruck verbunden, dem viele Menschen mit Handicap nicht standhalten können. Sein Fazit: „Wer einen geschützten Raum in einer Werkstatt braucht, sollte diesen auch bekommen.“

Dietmar Bartsch sieht es als wichtige Aufgabe unserer Gesellschaft, Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. „Aber das muss so einhergehen, dass es keine Gefahr von Schließungen solcher Werkstätten gibt. Das wäre verheerend.“ Diese Gefahr sehe Bartsch aktuell auch nicht. Dafür seien Einrichtungen wie das Michaelwerk zu stabil und zu gut. „Die machen hier einen tollen Job.“

Die Evangelische Stiftung Michaelshof als Träger des Michaelwerks, der Michaelschule und des Michaelhofes sieht aufgrund der gesetzlichen Veränderungen einen sehr hohen bürokratischen Aufwand. „Bisher gelte ein fester Tagessatz, der alles abdecke“, sagt Christoph Bohmann, Geschäftsbereichsleiter Arbeit im Michaelwerk. „Nun müssen wir alles auseinanderdividieren.“ Die Eingliederungshilfe, die als Komplexleistung von Grund- und Fachleistungen und weiteren Hilfsangeboten gedacht ist, wird komplett zerlegt. Welche Hilfe ein Mensch mit Handicap bekommt, sei zukünftig auch nicht mehr vordergründig von der Wohnform abhängig, sondern orientiert sich ausschließlich an seinen individuellen Bedürfnissen.

Ab 2020 werden die Fachleistungen der Eingliederungshilfe, wie etwa die persönliche benötigte Assistenz, klar von den Leistungen zum Lebensunterhalt getrennt und entsprechend separat finanziert. Das ist ein kompletter Systemwechsel. Die Fachleistungen der Eingliederungshilfe sind beim Träger der Eingliederungshilfe zu beantragen. Die Grundleistungen für den Lebensunterhalt, für Wohnen, Lebensmittel und Bekleidung trägt die Sozialhilfe.

Das erhöhe auch den Aufwand für das Sozialamt. „Wir mussten schon zehn zusätzliche Stellen schaffen“, sagt Steffen Bockhahn (Linke). Die großen Veränderungen, die die 3. Reformstufe ab 2020 mit sich bringt, wird weiteres Personal nötig machen.
Birgit Gelz, Verwaltungsleiterin der Stiftung, betont: „Das Bundesteilhabegesetz bringt mit Sicherheit auch neue Chancen und Perspektiven.“ Gleichzeitig fordere sie aber auch ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Aufwand für die zu erbringenden differenzierten Leistungen und den damit verbundenen Verwaltungsaufgaben. Dietmar Bartsch stimmt zu: „Es ist wichtig, dass auf der einen Seite Klarheit und Transparenz herrscht. Aber die Mitarbeiter dürfen auf der anderen Seite nicht in Bürokratie versinken.“

Matthias Kähler, Geschäftsbereichsleiter Wohnen, sieht das neue Gesetz kritisch: „Menschen mit Behinderung, die ihre Bedürfnisse klar artikulieren können, erhalten mehr Autonomie. Für sie ist das Gesetz durchaus positiv zu bewerten. Aber was ist mit den Menschen mit schwerer geistiger oder mehrfacher Behinderung?“ Diese Menschen seien verbal oftmals nicht in der Lage, ihre Befindlichkeiten und Bedürfnisse klar zu definieren. Die Reform möchte Menschen mit Handicap ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Er befürchte aber, das Bundesteilhabegesetz könne hier in der Praxis genau das Gegenteil bewirken. „Deshalb sollten hier die Pauschalleistungen bestehen bleiben.“

Auf die Frage von Dietmar Bartsch, was er konkret in den Bundestag zur Problemlösung mitnehmen solle, ergänzt Matthias Kähler: „Eine klare Abgrenzung von Bundesteilhabegesetz und Pflegeversicherung wäre wünschenswert. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Beschäftigte mit schwerer und mehrfacher Behinderung in das Pflegeheim wechseln müssen.“ Die Pflegeversicherung müsse mit den nötigen Mitteln ausgestattet werden, damit Menschen mit Behinderung vollen Zugriff auf Leistungen der Pflegeversicherung erhalten, gleichzeitig aber ihre Teilhabeleistungen nicht reduziert werden.

 

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